Wochenbettdepressionen: „Das bist nicht mehr du“

Von Published On: 25. Juni 2020Kategorien: Geburt, Mama, Schwangerschaft0 Kommentare

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Maria* (40) hatte einen schweren Start in ihr Leben als Mutter: Sie litt unter einer Wochenbettdepression, die ihr die Anfangszeit mit ihrem Sohn Marlon* sehr erschwert hat. Maria möchte mit ihrer Geschichte anderen Frauen Mut machen und helfen, das Thema postnatale Depression zu enttabuisieren. Hier erzählt sie von ihrem Weg.

Liebe Maria, vielen Dank, dass du mit mir über das Thema Wochenbettdepression reden möchtest. Bitte erzähl ein bisschen von dir – wie war dein Leben vor der Geburt deines Sohnes?

Ich war lange Single und sehr glücklich damit. Mein Freundeskreis war groß. Ich habe immer schon gerne und viel gearbeitet. Als Teamleiterin in einem Software-Unternehmen hatte ich auch viel zu tun, viel Verantwortung. Mir hat das großen Spaß gemacht. Ich wurde gebraucht und für meine Leistung geschätzt.

 

Was hat sich dann geändert?

Ich habe mich Hals über Kopf in einen tollen Mann verliebt. Wir haben uns kennengelernt, als wir beide schon Ende 30 waren. Total kitschige Liebe auf den ersten Blick. Wir haben dann ziemlich schnell geheiratet. Weil wir beide unbedingt ein Kind wollten, haben wir auch schnell mit der Familienplanung losgelegt. Ich war schon nach zwei Monaten schwanger. Gott, waren wir glücklich!

Meine Schwangerschaft verlief ohne Probleme. Ich habe weiterhin viel gearbeitet. Und ich hatte einen Plan: Wenn Marlon auf der Welt ist, gehe ich für zwei Jahre in Elternzeit. Dann finden wir eine tolle Kita und ich kann wieder arbeiten, erstmal in Teilzeit. So habe ich es mir zumindest vorgestellt.

Die Geburt war hart: Ich lag fast zwei Tage in den Wehen. Schließlich musste Marlon doch mit einem Kaiserschnitt geholt werden. Das habe ich als extrem frustrierend erlebt. Ich dachte, ich hätte versagt. Heute weiß ich: das ist natürlich Quatsch.

 

Wie hast du die Anfangszeit mit Baby erlebt?

Nach der Geburt war ich wahnsinnig erschöpft. Mein Körper hat gestreikt, alles tat weh. Und es gab direkt Probleme: Das Stillen hat zuerst nicht geklappt. Wieder war es „meine Schuld“: Im Krankenhaus sagten sie mir, meine Brustwarzen wären zu klein. „Wie soll er die denn in den Mund kriegen?“, meinte die Krankenschwester. Ich habe also abgepumpt, mit Stillhütchen gestillt, habe Marlon nachts wecken müssen, damit er genug Nahrung bekommt. Ich habe kaum geschlafen.

Mein Mann hat mich sehr unterstützt, ist nachts mit aufgestanden, hat Marlon rumgetragen und war in hohem Maße für mich da. Doch er musste morgens um sieben das Haus verlassen. Und ich war allein mit Baby. Es war November, permanent hat es geregnet. Raus konnte ich sowieso nicht, weil ich einfach keine Kraft dafür hatte. Ich habe mich einfach nur ausgelaugt gefühlt. Und was am schlimmsten für mich war: Dieses allumfassende, tiefe Glück der Mutterschaft, von dem immer so viel gesprochen wird, wollte sich einfach nicht einstellen bei mir.

 

Was hast du stattdessen gefühlt?

Ich habe Marlon angesehen und einfach nur Schuldgefühle und Panik empfunden. Klar, ich habe ihn geliebt. Aber ich dachte, ich bin nicht gut genug als Mutter, ich kann ihn nicht so versorgen, wie er es verdient hat.

Und irgendwie hatte ich die Kontrolle über mein Leben verloren. Vorher hatte ich einen geregelten Alltag, eine klar definierte Aufgabe. Und das war mit einem Mal plötzlich weg. Mein neues Leben als Mutter habe ich mir anders vorgestellt.

 

Wie hast du dir dein neues Leben denn vorgestellt?

Ich dachte, ich könnte weitgehend so leben wie vorher. Zuerst wäre ich ein paar Monate zu Hause, würde viel Besuch von meinen Freunden bekommen. Dann könnte ich wieder abends ausgehen, ein Babysitter könnte auf Marlon aufpassen und ich hätte frei.

 

Wie sah dein Leben stattdessen aus?

Meine Freunde sind anfangs tatsächlich zu Besuch gekommen. Abends, nach ihrer Arbeit. Wenn Marlon seine Schreistunde hatte und ich fix und fertig, mit Milchflecken auf dem Shirt und ungeduscht, mit ihm durch den Flur lief oder stillte. Sie haben die Besuche also schnell eingestellt. Irgendwie war mir das auch recht. Ich hatte einfach keine Kraft.

Zuerst habe ich gedacht, dass es bestimmt bald besser wird. Die Anfangsphase ist für alle hart und dann gewöhnst du dich schon dran. Aber es wurde schlimmer.

 

Welche Symptome hattest du?

Ich habe Schlafstörungen bekommen. Total absurd, wo ich durch das Baby sowieso kaum schlafen konnte. Aber ich bin morgens vor Marlon wach geworden, total gerädert, konnte nicht mehr einschlafen. Ich lag im Bett und habe nur geheult.

Und dann das Gefühl der totalen Überforderung. Damit konnte ich schlecht umgehen. Beruflich war ich erfolgreich, schnell, effizient. Als Mutter habe ich mich so überhaupt nicht wahrgenommen.

Ich habe mich einfach mehr schlecht als recht durch den Tag geschleppt. Der Haushalt ist komplett auf der Strecke geblieben. Ich auch. Ich habe mich morgens im Spiegel angeschaut, wirres Haar, bleich. Und ich dachte: Das bist nicht mehr du. Meine ganze Kraft habe ich für Marlon verwendet. Damit er versorgt ist.

 

Was hat sich geändert? Was hat dir schlussendlich geholfen?

Ich konnte mir keine Hilfe holen. Mein Mann hat irgendwann die Reißleine gezogen. Er musste mich förmlich zwingen, hat für mich einen Termin bei meiner Hausärztin ausgemacht. Zum Glück eine sehr warmherzige, empathische Frau. Sie hat mir zuerst sehr energisch die Schuldgefühle ausgeredet und dann meine Krankheit benannt: „Sie haben eine klassische Wochenbettdepression.“ Das war erleichternd, einen Namen für meine inneren Zustände zu haben. Sie hat mich dann an einen Psychiater verwiesen. Ich nehme jetzt Antidepressiva. Außerdem mache ich eine Gesprächstherapie. Und es geht mir schon besser.

Inzwischen schlafe ich, habe mehr Freude an meinem herrlichen Kind.

Und ich habe entschieden, früher wieder zu arbeiten. Mein Mann hat seine Stunden reduziert und ich habe in Teilzeit wieder meine Arbeit aufgenommen. Eine gute Lösung für uns drei. Und ich lerne gerade, dass ich als Mutter nicht perfekt sein kann. Und das auch gar nicht muss.

 

Liebe Maria, vielen Dank, dass du mir deine Geschichte erzählt hast.

 


*Maria heißt eigentlich anders und ihr Sohn auch. Sie möchte gerne anonym bleiben.

Wichtige Informationen und Ansprechpartner zum Thema Wochenbettdepression gibt es bei Schatten und Licht, der Initiative für peripartale psychische Erkrankungen.

Buchtipp: Mutterglück: Wie ich trotz postpartaler Depression zurück zu meinen Kindern fand von Carlotta Frey

Innere Leere, tiefgehende depressive Verstimmungen und überwältigende Schuldgefühle prägen Carlottas Gefühlsleben nach der Geburt ihrer Kinder und belasten die ganze Familie. Erst nach dem Zusammenbruch sucht sie Hilfe und kann diese annehmen. „Mutterglück“ ist der unverblümte Erfahrungsbericht einer Betroffenen.  Das Buch macht Frauen mit einer postpartalen Depression Mut und zeigt Wege aus der Überforderung.


 

 

Charlotte Hildebrand
2013 wurde ich Mama eines Mädchens und war damals im Alter von 29 die erste Mama in meinem engeren Freundeskreis. Glücklicherweise habe ich im Vorbereitungskurs zwei tolle, werdende Mamas kennengelernt. Wir konnten uns von Sekunde eins an bis heute über das Muttersein austauschen. Und das war für mich zehn Mal wichtiger als jeder Elternratgeber. 2016 kam ein zweites Mädchen dazu und beide fordern mich ebenso, wie sie mich unheimlich glücklich machen. Ich habe Media Management studiert und danach bei einem großen Musiklabel in Köln gearbeitet. Seit der Geburt meiner ersten Tochter bin ich selbstständige PR Frau, Online Marketing Consultant und Dozentin. Ich liebe es, Musik zu entdecken und auch selbst zu machen. Zu Hause geht das am besten am Klavier oder an der Gitarre und mit meiner Stimme. Kein Wunder also, dass auch meine Mädchen ständig ein Lied auf den Lippen haben.

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